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Mainzer Allgemeine Zeitung vom 27. Januar 1997

„Drecksäck“ sind jetzt auf Helau-Trip

Alternative Fassenacht ist stark und dennoch auf der Suche nach ihrer Identität

Lutz Eberhard

Die respektlosen „Drecksäck“ schießen in ihrer zweiten Kampagne bitterbös gegen die traditionellen Fastnachtsvereine. Aber sie nehmen sich auch selbst auf die Schippe: „Der einzige Tag, an dem Grüne noch auf die Straße gehen, ist Rosenmontag.“

Im Haus der Jugend ist die „alternative Fassenacht“ in diesem Jahr dreimal am Zug. Karten für die Sitzung am „heiligen TV-Fastnachtsfreitag“ und am Narrensamstag gbit es allerdings keine mehr. Wer die „anner Luft“ schnuppern will, muß also auf 1998 warten. In der 97er Kampagne setzen die „Drecksäck“ einige Glanzpunkte, nur das Publikum war schlaff. Oder war die Erwartungshaltung zu hoch?

Grüne Parteiprominenz gab sich die Ehre, und ein Narr, der einst auspackte, mischte sich unter das Publikum: Herbert Bonewitz war da, freute sich und hörte, dass sich jenseits der traditionellen Sitzungen eine Bühne für große Talente anbietet. Unter der Moderation von Günter Beck und Birgit Schütz („Könnt ihr euch noch an die Zeiten erinnern, als Gras noch etwas anderes war als das Futter für die Meerschweinchen unserer Kinder?“) sind die „Drecksäck“ für allerlei Überraschungen gut. Da singt bei den „Drecksäck-Singers“ ein waschechter CDU-Ortsvorsteher (Name ist der Red. bekannt) mit.

Die Band „Se Bummtschaks“ sind die alternative Antwort auf alternde Dialekt-Rockbands. Ob ‚“Kelly Family“ oder „Waigel Jackson“-Persiflage, da fliegt einem echten Narren im Saal die Batschkapp weg. Höhepunkte guter politischer Fastnachtstradition setzen Rainer Christ und Markus Höffer-Mehlmer mit ihrer „Talk“-Nummer, Jürgen Girtler und Peter H. Eisenhut.

Das Duo Christ/Höffer-Mehlmer sprach von „anonymen Fassenachtern“ und Narren-Gruppierungen, die die Politik unterwandern. So sei Rolf Braun bis zum Ministerpräsidenten vorgedrungen und Joe Ludwig habe einst als Pressesprecher die Mainzer Polizei unterwandert. Aber Scharping sei ein schwerer Rückschlag für den organisierten Frohsinn gewesen.

Originell und schräg nicht nur das „Narhalla“-Kombinat. „Ordentlich abgedrückt“ haben die vier Damen vom Klo (Monika Hilbert, Helga Hofmann , Barbara Lampe und Birgit Schütz ), die in Heimarbeit Telefondienst verrichten. Die „Mixed Pickles“, das „Gonsenheimer Gemüs“ (Sigrid Friedrich, Simone Gieswinkel, Rosi Bender, Ute Nau) besangen, was die Weiblichkeit bewegt. Angelika Spautz und die „Black Mollis“ verdeutlichten die frauliche Übermacht bei den „Drecksäck“.

Von der „Tupper“-Party berichtete politisch, scharfsinnig Barbara Lampe . „Ulla Brede-Hofmann weiß nie, ob sie ein rotes oder grünes Deckelchen nehmen soll“, pointierte sie mit Überlänge. Und da beginnt das Problem der Drecksäck, in vielem gleichen sie in der Kampagne 97 plötzlich den traditionellen Narren. Das „Helau“ hielt Einzug. Redner überstrapazierten das Narrenvolk. So hätte Dieter Kramer als „Blatt Papier“ auch bei jedem anderen Verein auftreten können, er wäre dort nicht als „en annern“ aufgefallen. Thomas Schäfer war als gescheiterter OB-Kandidat und jetziger Rathaus-Pförtner bissiger. Bernd Weisbrod als 05-Trainer Wolfgang Frank scharte seine Fußballjünger um sich, Seitenhiebe auf „Guru“-Mentalität und Profitum fehlten nicht, dennoch scheinen „Drecksäcke“ 05-Fans zu sein.

Die Männertanzgruppe „Funky“ (Rainer Christ, Thomas Dang, Klaus Cartus , Gerold Brand, Charles Frank) boten den Närrinnen unter Leitung von Silke Jertzina einiges. Der „Drecksäck“-Männerchor ging dann in den „Drecksäck-Singers“ auf. Die starke Gesangstruppe unterstützte „Pfarrer“ Peter H. Eisenhut bei seiner Predigt „I had a dream“. Der Journalist setzt messerscharf die Pointen.

Jürgen Girtler als „Radiomann“ glänzt mit starkem Soloauftritt, Für ihn ist das Fernsehen zusehends venezianisch – 500 Kanäle, und es fängt an zu stinken. Er stehe hier aus „finanziellem Idealismus“ und bezeichne das Zölibat „als Mord am ungezeugten Leben“. an Girtler wird das Problem der „Drecksäck“ erneut deutlich. Girtler ist auf der einen Seite so dominant und perfekt, dass er auf jeder Bühne besteht, aber seine vulgäre Zugabe passt dann trotz allem nicht in den „Drecksack“.

Die „Avant-Garde“ hat in der Narrenmetropole eine Zukunft. Die „Drecksäck“ werden ihren Weg gehen und bald die stilistische „Alternativspur“ finden.

Der AZ-Jokus geht an die „Talker“ Rainer Christ und Markus Höffer-Mehlmer.


Meenzer Drecksäck  |  info@meenzer-drecksaeck.de