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Birne klar durch Kartoffelsalat

Allgemeine Zeitung, 15.2.2021

 

Meenzer Drecksäck trotzen Corona mit einer XXL-Digitalsitzung und einem „Best of“ / Rund vier Stunden Online-Show bis Aschermittwoch

Von Michael Jacobs

MAINZ. Eines vorweg: Die Sau hat geferkelt. Massenhaft. Die Meenzer Drecksäck sehen rosigen Zeiten entgegen. Wenn denn die Wutz im „Haus der Jugend“ wieder fliegen darf. Dem Nachwuchs hat die Corona-Zwangspause sichtlich gutgetan. Dennoch ist die aus der Virennot geborene Digitalperformance der Alternativfastnachter, die seit jeher über ein erstaunliches filmisches Knowhow verfügen, ein Wagnis. Wie viele Fernseher und Laptops werden den knapp vierstündigen Best-of-Abend mit Prunkstücken der letzten 20 Jahre nicht überleben, weil sie aus Ermangelung eines physischen Sau-Kontakts an die Decke geschmissen werden? Man wird sehen. Die Drecksäck-Netzshow kann noch bis Aschermittwoch, 24 Uhr, vom heimischen Sofa aus abgefeiert werden.

> Auch bei der XXL-Streaming-Retrospektive darf natürlich der obligatorische Eröffnungsfilm nicht fehlen, der zumindest thematisch in den Krisenmodus schaltet. Peter Becker ist komplett durchgedreht und brütet in einer famos vermüllten Absteige bei Dosenravioli und Corona-Bier die heißesten Verschwörungselaborate aus. Günter Beck, gekrönt von einem Alutopf im Ditsche-esken Bademantel, entwickelt dabei einen solch verqueren Furor, dass man sich heftig dagegenstemmen muss, ihm nicht zu glauben. Dass der MCV und die Ranzengarde an die Weltherrschaft wollen, zumal mit einem Pathologen an der Spitze, dem es ein Leichtes ist, Konfetti in die Blutbahn zu injizieren, Luftschlangen und Handkäs zu verseuchen und den Zugplakettchen hoch infektiöse glühende Riechkolben verpasst. Attila Hildmann hat schon viel wirreres Zeug geredet. Schwester Margit (Birgit Schütz) und Mutter Becker (Angelika Spautz) fahnden per Videokonferenz („Ich kann dich net höre“) nach dem Abtrünnigen, der auch noch die Sau gekapert hat, um nach einer Odyssee durch die Stadt, gepflastert von Begegnungen mit einer Hamburger Deern Erna (Christine Eckert) und einem im Ernst Ludwig-Platz-Brunnen gestrandeten Taucher (Joachim Knapp), endlich den Irrläufer aufzustöbern. Durch ein paar Happen von Mutters, zu „Bio Dreck“ extrahiertem Kartoffelsalat ist der Peter ratzfatz mental wieder hergestellt. Das filmische Rollback zu den Eckpfeilern vergangener Sitzungen kann beginnen. Da bei den Drecksäck natürlich keiner auf dem Schirm hatte, dass einmal eine Pandemie in die Live-Auftritte funkt, kommen größtenteils die aufzeichnungstechnisch vorzeigbarsten Nummern zur Online-Aufführung.

Gleich zu Beginn der Opener 2014 mit Beck und Schütz als Stadtüberwachungsämtler, die nicht nur den OB beim Raub von Arne Jacobsen-Stühlen aus den Rathaus, sondern auch Katrin Eder in der Mülltonne ertappen. Eine eigene Rückblickabteilung ist Anarcho-Man und Langstreckenredner Jürgen Girtler gewidmet, unter anderem in einer Paraderolle als gehackter Polizeidienststellenleiter im 2015er Film. Zum Starensemble der Sitzungen hat sich Prediger Hans-Peter Eisenhut mit seiner Ministrantenschar emporgebetet, dessen in treffender Schärfe psalmodierten unheiligen Spitzen auf Rechtspopulisten oder Brexiteers in einem Medley abgefeuert werden. Eisenhuth setzt mit Keyboarder Oliver Nieder noch einen frischen, galligen Nachruf auf Donald Trump drauf.

Und manchmal durchweht die pointenhaltige Zeitreise auch ein Hauch der Vergänglichkeit, wenn etwa Günter Becks Tochter Meli auf der Bühne von einer schlagfertigen Neunjährigen (2014) zum nassforschen Teenager (2019) heranreift oder die zahlreichen Spöttereien auf den „Katastrophen“-Dezernenten Christopher Sitte längst durch dessen unrühmlichen Abgang von der Politbühne überholt sind.

Relativ zeitlos sind dagegen die oft von Kölsch-Kokolores getränkten Humoresken des Zugpferds Markus Höfer-Mehlmer, der nicht nur mit alten Nummern von 2002 bis 2014 auftrumpft, sondern aktuell aus dem Homeoffice über die Qualen des Geldanlegens (Oweia Card) räsoniert, um ein Invest in Zugplakettchen zu präferieren.

Was aber, wenn keine Sau zuschaut? Wohlweislich schaltet die Retroshow ab und zu in fiktive Reverenzwohnstuben, wo sich dann eine herrlich mit Dosenbier zugeknallte Prollfamilie zum Online-Quotenthema artikuliert: „Was ein Scheiß. Ich will die Hofsänger.“ Die kommen natürlich nicht, sondern ein Feuerwerk der ambitioniert trickreichen filmischen Sketchproduktionen der Laienspielgruppe, sei es „Harry Potter und die Bibelturmverschwörung“, ein von den Bonifaziustürmen segelnder Hase oder die hochkomische Milieustudie „Mainz im Mittelalter“.

> Kein Drecksäck-Ultralangfilm ohne das kongeniale Moderatorenduo Beck/Schütz. Ein Potpourri der besten komödiantischen und kommunalpolitischen Spiel- beziehungsweise Vermummungsszenen, inklusive Ady Schmelz und Jacques Hermann, läuten das Schlussdrittel ein, dem denkwürdige Ausschnitte des „Uferlosen“-Chors (Fischstäbchen!) und des Männerballetts weiteren Schwung verleihen. Mit der per Video zusammengeschalteten Rockhymne „Haltet durch“ der Hausband „Toni, Ernst und die Hämmerle“ ist das Signal zum Weitermachen 2022 gesetzt.

Der Mensch lebt halt nicht vom Film allein, er braucht auch Fleischworscht und eine Drecksau zwischen den Fingern. Als Bonus-Track gibt’s noch das grandiose Mainz-Remake „House of Drecksäck“ von 2018.

 

Tickets mit dem Zugangscode können zum Preis von 15 Euro über die E-Mail-Adresse vorstand@meenzer-drecksaeck.de (Homepage: meenzer-drecksaeck.de) angefordert werden.

 

 

 


Meenzer Drecksäck  |  info@meenzer-drecksaeck.de