Von Michael Jacobs
Als Günter Beck die rosa Riesenwutz zum letzten Mal über die
Häupter seiner getreuen Alternativfastnachter fliegen lässt, ist es kurz
nach Eins, der Impresario abgekämpft, aber er wankt nicht. „Der hat so
viel Energie, da braucht man keinen Windradpark mehr, rühmt
Co-Moderatorin Birgit Schütz, obwohl der Frontmann in seinem grellweißen
Unterweltanzug aussieht wie Al Capone höchstpersönlich. Nach 16 Jahren
„Drecksäck“-Historie mit Obrigkeits- und OB-Spott tritt der Conférencier
in der diesjährigen Sitzungskampagne als ernstzunehmender Kandidat auf –
eine Situation schönster Dialektik, wobei Beck taktisch geschickt mehr
auf gesicherte Defensive als auf Angriff setzt.
War in den legendären Einspielfilmen schon mal die Amtsstube des
Finanzdezernenten Schauplatz für kommunalpolitischen Schabernack, so
spielt nun die ökologisch wertvolle Dokusoap „100 Tage ohne Strom“ im
trauten Gonsenheimer Heim, wo Familie Becker-Spross Beck aus der
Dachluke mit dem Schirm auf Naturstrom-Blitzfang geht.
Die Sau saust
Dann startet die „Bunga, bunga Täterä“-Sause, die Sau saust, „Ah, tut
des gut, ich hab‘ des so vermisst“, charmiert der schon in
Stadtvorstandssitzungen verloren geglaubte Sohn des Hauses. Wohl auch
dem Termindruck geschuldet fallen die Überleitungen diesmal kürzer aus,
bleiben aber pointierte Meenzerisch-Miniaturen, etwa wenn Beck im
Feinripp-Unterhemd Wut-Burger grillt oder nach dem Comeback der Hausband
„Toni, Ernst und die Hämmerle“ – die dem Sparfuchs die Blitzer-Hymne
„Radar Beck“ widmet – als Losverkäufer ein paar Gitterelemente vom
Rathaus locker macht.
Selbstironie ist das beste Mittel gegen Selbstreferentialität – und die
beherrscht die „Drecksäck“-Führungsktraft mit polternder Lässigkeit,
zockt als Beck-Bengel Puppenmuttis auf dem Spielplatz Hopfengarten ab
oder kritzelt den Businessplan für ein Bügelstudio in den Pizzakarton.
Das anschwellende Wahlkampfgetöse draußen vor dem trauten Haus der
Jugend bringen andere auf die Bühne. Zum Beispiel Stefan Frondorf als
Becks Azubi, der dessen „krasse“ Kampagne – „Der Günter ist überall“ –
per „Pay Beck“ für 50 Euro managt, einen aufrüttelnden Radiospot mit der
Massen mobilisierenden Botschaft „Liebe MainzerInnen“ lostritt und des
Kandidaten Terminkalender aufpoliert: „24 Uhr - Bettenzählen mit
Christian Barth im Crazy Sexy“. Oder Peter Eisenhuth, dessen
schlagfertige Messdienertruppe nach der Abkanzelung der Großschnorer
Wulff und Beutel ihren Oberpriester schon in Feindesland wähnt: „Beck
ist fast auf dem Zenit... sitzt er als Nummer Eins demnächst im Schloss
bei Mainz bleibt Mainz“?
Piratenpartei-Kaperfahrt mit knallenden Breitseiten
Der lässt sich denn auch nicht lumpen und wankt als Zugmarschall Ady
Schmelz selig mit einem Plastikschoppen durch die Frohsinnshölle. Wie zu
erwarten war, enthält sich Beck selbst im „Paten“-Outfit mit
Borsalino-Hut Attacken auf die Handkäs-Mafia – das erledigt schon die
satirisch versierte „Laienspielgruppe“, die einen fast lebensechten
Rainer Laub aus dem Wohnbau-Sumpf zaubert, der partout nicht in den
rosaroten Schluchsee-Bademantel Marke Himmelreich will: „Ich trag doch
net die Klamotte vum Ebling uff“.
Später geht das spritzige „Saubande“-Ensemble auf
Piratenpartei-Kaperfahrt mit knallenden Breitseiten gegen das
Abwrackwerk Jens Beutels. Und während Beck in der Pause demonstrativ
Thekendienst schiebt („Ich brauch das Geld, jeden einzelnen Cent“),
macht sich Oliver Nieder mit einer zwar komplett politikfreien, aber
äußerst witzigen „Drecksäck“-Ausgabe von „Wer wird Millionär“ bereit,
mit der er nicht nur den als Zebra getarnten Saalkandidaten „Herbert aus
der Eifel“, sonder auch gleich dessen mitgelaufene Herde beglückt.
Näher ran ans Volk geht‘s kaum noch.
Als Markus Höffer-Mehlmer kurz vor Sitzungsschluss als Schutzengel mit
ein paar Leichen im Keller todesmutig eine Schunkelrunde einläutet,
wachsen die Vibrationen im mächtigen Korpus des Conférencier-Kandidaten
bedrohlich an. „Drecksack, Drecksack, hoi, hoi hoi“ detoniert es wie
eine Katharsis aus Günter Beck. Und auf Kommando stürmt die Wutz
himmelwärts, so als ob sie die Stadt zurückerobern wollte.