ADAC, NSA und rosa Sau – furiose Drecksäcke feiern 19. Jahr!
Mainz&.de, Sonntag, 23. Februar 2014
Hier geht's zum Original-Artikel
Von Gisela Kirschstein
Ihr habt schon wieder keine Karten für die Drecksack-Sitzungen bekommen? Schade, wirklich schade – Ihr verpasst eine der besten Fastnachtssitzungen, die Mainz je gesehen hat. Die Alternativfastnachter stehen in ihrem 19. Jahr, und sie sind so gut, wie lange nicht mehr.
ADAC, NSA, Rathaus, Mainzelbahn – die Drecksäcke nehmen das alles auf die Schippe und tanzen dabei genauso närrisch-vergnügt durchs Programm, wie die Sau über die Köpfe der Zuschauer. Bei der Premiere am Freitagabend war das gleich Dutzendweise der Fall – begleitet vom Ruf “Wer lässt die Sau raus? Ihr, Ihr! Ihr!”
Die Drecksäcke wurden einmal gegründet, um der etablierten Fastnacht den Kampf anzusagen. Also gibt es kein Komitee, keine Orden, keinen Tusch und kein Schunkeln – oh, Pardon: Das mit dem Schunkeln ist nicht mehr so ganz richtig. In ihrer 19. Kampagne leisten sich die Drecksäcke doch tatsächlich gut gelaunt das eine oder andere Schunkeln – und das Publikum macht lustvoll mit. Nicht alle natürlich, bei den Drecksäcken gibt es immer noch eine starke Fraktion unkostümierter Menschen, die mit ernstem Gesichte dem Programm folgen – doch man wird den Eindruck nicht los: die sind inzwischen in der Minderheit.
Die Mehrheit im Saal sind gut gelaunte, eher rot-grün orientierte Mainzer, die sich auf beißende Kritik an ihrer Stadt und den sonstigen politischen Begebenheiten des vergangenen Jahrs freuen. Und die Drecksäcke liefern – und wie. Das fängt natürlich schon gleich mit dem Moderatorenduo an: Wo gibt es sonst einen Bürgermeister und Finanzdezernenten, der sich und sein Amt so lustvoll auf die Schippe nimmt, wie der Grüne Günter Beck?
Der stürzt sich mit dem Ruf “Die Stadt braucht uns!” zusammen mit seiner kongenialen Partnerin Birgit Schütz in die Schlacht um das Geld, und die beiden legen als Überwachungshüter das Kinderkarusell wegen fehlender Umweltplakette still, messen die Sterne auf dem Weihnachtsmarkt nach und kassieren Fahrscheine im Fahrstuhl.
En passant werden dabei noch gleich aktuelle Themen wie der Weinausschank auf dem Markt und Altstadt-Zoff um arme Gastronomen mit glossiert. Der Eröffnungsfilm mit der Familie Heinz Becker ist rasant wie lange nicht mehr – und fast die gesamte Stadtspitze spielt mit.
Da fährt der Sozialdezernent (Kurt Merkator, SPD) im Fahrstuhl schwarz, lässt die Kulturdezernentin (Marianne Grosse, SPD) die Besucher am Theatereingang auf mitgebrachten Alkohol filzen, und die Umweltdezernentin (Katrin Eder, Grüne) macht die Biotonne unsicher – von innen versteht sich. Der Oberbürgermeister (Michael Ebling, SPD) trägt derweil heimlich Stuhl um Stuhl das Arne Jacobsen-Inventar aus dem Rathaus und verscherbelt es im Möbelladen um die Ecke für viel Geld.
Überhaupt, das Rathaus: Ihm bekommt die Drecksack-Sitzung nicht wirklich gut. Es wird geschmäht als Sanierungsruine und als Mitarbeiter-Alptraum, es wird gleich mehrfach in die Luft gesprengt – und jedes Mal gibt es dafür donnernden Applaus. Ginge es nach den Drecksäcken und ihrem Publikum – das Rathaus hätte seine letzten Stunden gesehen. Die Laienspielgruppe hat gleich die Sau drauf angesetzt – in “The Dark Side of the Sau” terrorisiert ein böse gewordenes Ungetüm die Stadt Mainz, sprengt das Rathaus und wird am Ende doch von einer hehren Fastnachts-Ritterin besiegt.
“Der Denkmalschutz als Argument, ist wirklich nicht sehr intelligent”, singt dann noch die Zwergen-Selbsthilfegruppe. In der “Jede Zelle meines Körpers ist glücklich”-Gruppe treffen sich neben dem armen Rathaus-Wohlfühl-Zwerg noch der Brunnen-Sponsoring-Zwerg, der Domspitzen-Beschaffungs-Zwerg und der Fluchlärm-Verhinderungs-Zwerg – womit gleich drei weitere epochale Mainzer Ereignisse des abgelaufenen Jahrs verarbeitet wären. Die siebenköpfige Gesangsgruppe bietet mit ihren genialen Gesangseinlagen wahrlich ein närrisches Protokoll der anderen Art. Da nimmt der Obst-Gemüsenanbau-Grünzeug-Zwerg das Urban Gardening auf die Schippe, und der Mainzelbahn-soll-woanders-hinfahren-Zwerg beklagt, dass ausgerechnet der Lerchenberg als Ziel der neuen Straßenbahn auserkoren wurde. Und wieder fliegt die Sau durch den Saal.
Das riesige rosa Plüschgetier tanzt praktisch alle halbe Stunde über die Zuschauer hinweg, und nimmt richtig ausgedehnte Bäder im Händer-Meer. Es ist aber auch zum saumäßigen Vergnügen, was die Drecksäcke da bieten. Da nimmt Joachim Knapp als NSA-Spion die Zuschauer unter die Lupe (und pinnt ihre Vergehen auf Klopapier), wird der Drecksack-Euro trotz wahrhaft närrischer Fragen erraten, und die “Saubande” um Sänger Christof Eder zelebriert eine schräge Spionage-Abhör-Nummer, in der auch Uli Hoeness und Alice Schwarzer nicht fehlen.
Die beiden bekommen noch mehrfach ihr Fett ab – nicht zuletzt bei Prediger Peter Herbert Eisenhuth, der in seinem Rundumschlag vom türkischen Premier Erdogan über Putin und Papst bis hin zur GroKo in Berlin nun wirklich gar nichts mehr auslässt. So treffend-süffisant waren auch diese Predigten lange nicht mehr, zum Hit werden vollends die Heino-Parodie (“Junge!”), der Rüdiger Grube-Samba à la Grönemeyer (“Ich steh’ hier schon seit Stunden”) und der wahrhaft närrische Abgesang auf die Zigeuner-Soße, die jetzt nicht mehr so heißen darf. Und zwischendurch versohlt der Prediger dem Limburger Tebartz-van-Elst gehörig den Hintern – und das Publikum klatscht mit…
Und dann ist da ja noch der ADAC: Der wird bei Kabarettist Markus Höffer-Mehlmer zum “Allgemeinen Deutschen Jecken Club”, der die Drecksack-Zuschauer-Zahlen natürlich gleich hochrechnet (4.476!), Fastnachtsschutzbriefe verkauft und auch beim Abschleppen hilft. Die grandios-schräge Nummer bringt dann auch die Zuschauer zum Schunkeln, denn glücklicherweise ist Narretei lernbar, und der Seminarleiter grandios-närrisch…
Ist das zu Toppen? Es ist, denn da sind ja noch die kleinen Zwischenspiele des Moderatorenduos Günter und Birgit, die von Umbau-Pausen-Nummern längst zu absoluten Kult-Einlagen avanciert sind. Im Programm diesmal: rockende rosa Schweine, ein närrisches Zwiegespräch am Fenster, und Adi Schmelz im Himmel auf dem im Mainz abgeschafften Narren-Turm – der Saal schunkelt da schon wieder, und singt sogar es “Heile Gänsche”! Wenn das der Ernst Neger wüsste…
Die Krone setzte dem allen der Kampf mit der Parkschranke auf – und die verrückteste Synchron-Schwimm-Nummer der Fastnachtsgeschichte. Sie haben es tatsächlich getan, die Birgit und der Günter, und ihre Synchron-Parodie zur kompletten Choreographie ausgebaut…. Leute, kauft Euch das Video!!
Mit den “Uferlosen” Elfen in wundervollen Shakespeare-haften Kostümen und dem Männerballett, das sich diesmal aus der Waschanlage zum “Final Countdown” entblättert, geht es auf das Ende der fünf Stunden langen Sitzung zu. Und wenn Toni, Ernst und die Hämmerle von der “Ersten Fleischworscht ist die Ekligste” singen, dann ist wieder Drecksack-Zeit in Meenz. Was das Motto “Niemand hat die Absicht, eine Mall zu eröffnen” mit der Sitzung zu tun hat?, fragte Birgit Schütz noch. Liebe Drecksäcke, wir wissen es auch nicht. Was wir allerdings wissen: Es war eine geradezu saumäßige-starke Sitzung
Infos& auf Mainz&: Noch drei Mal fliegt die Sau im Haus der Jugend in Mainz, am Fastnachtsfreitag (28.2.), Fastnachtssamstag (1.3.) und am Fastnachtssonntag (2.3.). Die Drecksack-Sitzungen sind traditionell ausverkauft. Wer aber Glück hat, kann noch auf der Tauschbörse fündig werden. Es wird ja immer mal jemand krank… Alle Infos rund um die Meenzer Drecksäcke gibt’s hier.