Wo die Sau zum Filmstar wird
DRECKSÄCK Genialer Dreiteiler begeistert / Umjubelte Sitzung mit Mystik, Musik und Schienenersatzverkehr
Von Maike Hessedenz
Mainzer Allgemeine Zeitung 6. Februar 2018
MAINZ. Die Sau fliegt und fliegt und fliegt ... Sie hat’s nicht anders verdient.
Was die Meenzer Drecksäck 2018 im Haus der Jugend präsentieren, erreicht eine neue Dimension der Saalfastnacht. Filme gab’s ja schon so einige; „Haus of Drecksäck“ taugt allerdings zum Kassenschlager. Günter Beck und Birgit Schütz als Peter und Margit Underwutz gieren nach dem Chefposten im Stadtwerke-Hochhaus; als die Dame gewinnt, übt Peter Underwutz bittere Rache. Das Mittel zum Zweck: das Taubertsbergbad.
Genüssliches Wälzen im Schlamm der Stadtpolitik
Es beginnt ein aberwitziger, völlig absurder Kampf um die Macht in der Stadt. OB Michael Ebling, „der Bohnebeitel“, soll weg. Peter Underwutz geht über Leichen. Opfer: AZ-Redakteurin Zoe Mayer (Carina Schmidt) und eine Fassaden-Platte des Rathauses. Klar, dass Reporter Sascha Kopp vor Ort ist und live berichtet. In genialem „House of Cards“-Style haut Peter Underwutz dem Publikum mit wichtiger Miene oberschlaue Sprüche um die Ohren: „Wenn du verwundet bist, gehe jagen und biete deinem Gegner frisches Fleisch.“ Und zu Verkehrsdezernentin Katrin Eder: „Das Leben ist kein Fahrplan. Es ist Schienenersatzverkehr.“ Oscarverdächtiger und hochwertig produzierter Film, der nach Fortsetzung schreit.
Die Drecksäck wälzen sich mit Genuss im Schlamm der Politik und des Stadtgeschehens; Joachim Knapp macht jetzt „Parteishippen“: „Alle elf Minuten verliebt sich einer im Saal in eine neue Koalition.“ Gut, dass die Damen vom illustren Junggesellinnen- Abschied schon verliebt sind. Der A-cappella-Chor lädt zum Jungferntanz im Zollhafen: „Es ist vorbei-bei-bei Nordmole ...“
Günter Beck, im wahren Leben Bürgermeister und Finanzdezernent, gibt Einblick in seine heimischen Politiker-Trainings mit seiner Tochter Melia Pace – und beweist, dass Trump selbst dem Draiser Kaninchenzüchterverein alternative Fakten und wirre Weisheiten auf den Leib dichten würde: „Grab them by the Puschel!“ Sensationelles Theater!
Die Drecksäck scheuen keine Kosten und Mühen – die Kulissen wandeln sich im Nu, bergen Tricks und aufsehenerregende Effekte. Die Show könnte abwechslungsreicher nicht sein. Allein Günter Beck trägt im Lauf des Abends mindestens vier verschiedene Hosen, mimt den cineastischen Intriganten oder den essigaffinen 05-Präsidenten.
Es geht rund im Haus der Jugend: Die „USS-Drecksack“ tourt auf der Suche nach fünf Millionen Liter Rieslingschoppe für den Tank durch Nordkorea und trifft in Jamaika auf den neuen Mainzer Citymanager. Vom unüberlegten Queren des Rheins wird die Laienspielgruppe (Regie: Hermann Junglas), die die irre Besatzung mimt, am „Checkpoint Ernst“ auf der Theodor-Heuss- Brücke aber gerade noch abgehalten. „Sie verlassen den Mainzer Sektor. You go back to the ebsch side.“ Dort gibt’s schließlich kein Marktfrühstück – dabei kann man da ja bald „in Ruhe saufen bei Regen und Sturm, steht erst einmal der Bibelturm“. Der Gag kommt von Peter Herbert Eisenhuth, der bei den Drecksäck gerne politisch austeilt – und damit komplett ins Schwarze trifft. Und dabei allerliebst von den sakralen Background-Messdienerinnen begleitet wird. „Es ist besser nicht zu lachen, als falsch zu lachen“, weiß er. Bei den Drecksäck steht die Aussage nicht zur Debatte. Gelacht wird nonstop.
Es wird später am Abend, die Stimmung wird mystisch. Markus Höffer-Mehlmer blickt in die Tiefen des Rathauses. „Sind sie sicher, dass Jockel Fuchs tot ist?“, fragt er mit verschwörerischer Stimme. Vollmondnächte, Weinkeller, das magische Dreieck aus Pyramide, Feuchtbiotop am Taubertsberg und bald dem Bibelturm – die Show ist einzigartig okkult und urkomisch.
Eine Sekte einer anderen Art gehören die Uferlosen an (Leitung: Anja Kormanicki, Stück von Andreas Schneiberg). Mit orange leuchtenden Köpfen wackeln die gestreiften Sängerinnen und Sänger über die Bühne – während Altstadt-Ortsvorsteher Brian Huck „Lieber Bibelturm als Baken“- skandierend vorbeitrabt. Wenigstens in der Laubenkolonie herrscht noch Frieden. Günter Beck bereitet den Grillabend vor. „Sitte, kommt der?“ „Ich glaub der lindnert.“ „Frau Grosse, die schulzt, kommt und hilft beim Aufräumen.“ Das ist nach der Drecksack-Sitzung im Haus der Jugend dringend nötig. Was eine Sauerei. Himmel, Arsch und Arne Jacobsen!
AZ Jokus
Wann gibt‘s die Fortsetzung? Und wann ersteht Katrin Eder aus dem Laubbett auf? „Haus of Drecksäck“ ist fantastisch großes Kino! Der Jokus geht an das komplette Ensemble des preisverdächtigen Dreiteilers.
Wer war noch dabei?
Musik und Tanz: Band „Toni, Ernst und die Hämmerle“ (Hans Becker, Michael Lechner, Udo Dengel, Julian Michel, Johannes Williger); Männertanzgruppe (Choreografie: Cornelia Röhrig)