Mainzer Rheinzeitung, vom 31.01.2005
Einer will die Drecksau sein
"Meenzer Drecksäck" verwandeln Mainz in eine Schweinestadt - Bush und Krawietz dominieren
Zehn Jahre "Meenzer Drecksäck", das sind zehn Jahre alternative Fassenacht in Mainz - ein Ereignis mit Kultstatus, wie die jüngsten Sitzungen im Haus der Jugend beweisen.
MAINZ. Statt eines goldenen Pferdes schmückt eine pinkfarbene Plüschsau das Dach des Landesmuseums, die Rheingoldhalle heißt Schweingoldhalle, und auch sonst werden die Dinge beim Namen genannt: So ist die Stadt Mainz voller "Drecksackgässchen". So sehen die Macher der "Meenzer Drecksäck" die Wirklichkeit durch ihre rosa Brille.
Der traditionelle Eröffnungsfilm bietet den Besuchern einen guten Einblick in diese heile, weil absolut verrückte Welt. Das Motto der Kampagne klingt einladend und frech: "Stellt aus, wenn ihr Mainzer sein. Fast nackt im Museum."
Das Moderatorenduo Birgit Schütz und Günter Beck , das seine schauspielerischen Qualitäten von Jahr zu Jahr steigert, schlendert zum Auftakt durch das (noch) nicht existierende "Drecksack"- Museum und erinnert sich an zehn alternative Fastnachtsjahre - so lange gibt es die Gegenbewegung zur traditionellen Fastnacht in Mainz.
Viele der Elemente der fünfstündigen Sitzung haben längst Kultstatus. Zum Beispiel die riesige Plüschsau, auf die sich die Gäste wie Kinder freuen. Oder die Band "Toni, Ernst und die Hämmerle" mit ihrem Solisten Hans "Ernst" Becker, der zwar ganz sicher irgendwann den ersten Preis im Nuschel-Wettbewerb gewonnen hat, aber das Publikum trotzdem mit nur wenigen Akkorden mitzureißen weiß. Oder die wunderbare Männertanzgruppe, in der vor allem der auf den ersten Blick etwas spröde wirkende Rainer Christ die Frauen im Saal in Ekstase versetzt.
Aber vor allem sind es die Gags, die sich Jahr für Jahr wiederholen, aber nie alt werden. Mit diesem stilistischen Mittel wissen die "Drecksäck" hervorragend umzugehen. So fangen die Leute an zu lachen, lange bevor Markus Höffer- Mehlmer ,Guten Abend, meine Damen. N'abend, die Herren. Mein Name ist Blond, Hell Blond. Kennen wir uns?" sagt. Denn vor einem Jahr stand der Vorstandsprecher der Mainzer Grünen schon mal in diesem Outfit auf der Bühne.
Ähnlich ergeht es dem Fastnachtspfarrer Peter H. Eisenhuth, wenn sein Chor bereits im dritten Jahr (oder ist es schon das vierte?) das Schock- Lied "Es war Sonntag" anstimmt. Das Publikum singt das "Wiu Wiu Wiu" des Chores so selbstverständlich mit, als hätte Peter Maffay in seinem Original "Es war Sommer" nie Gitarre gespielt.
Zwei Themen dominierten die Sitzung - die OB-Wahl und der Besuch von George W. Bush. Dabei werden sowohl der CDU-Kandidat als auch der US-Präsident ordentlich durch den Kakao gezogen. "Der OB-Kandidat neuen Typs, den niemand mit Politik in Verbindung bringt", heißt es beim Museums-Barkeeper Joachim Knapp . Oder "Bush will demnächst auf Reisen gehen, / will Mainz und Teheran ansehen. / Hier Staatsbesuch, dort Bomben schmeiße. / Tät er's verwechseln - das wär' scheiße" bei Prediger Eisenhuth.
Zu den Höhepunkten der aktuellen Kampagne zählt die Fremdensitzung für Muslime unter dem Motto "Allah hopp!". Nummern wie diese machen eben das Alternative der "Drecksäck"-Sitzung aus, und nicht die Tatsache, dass dort ein schwul-lesbischer Chor auftritt und bemüht über Fußball singt.
Abgesehen davon, dass "Spieskers Spießgesellen" in diesem Jahr meisterhaft mit Lichteffekten arbeiten, und Andreas Schneiberger sein kurzes, knackiges Solodebüt gibt ("Ich möcht so gern die Drecksau in der Drecksack- Sitzung sein"), gibt es so gut wie keine neuen Elemente, was aber niemanden stört. Manchmal aber übertreiben es die "Drecksäck" mit der Vergangenheit: Das extrem feministisch gesinnte Engel- Tussen-Kommando im Himmel (Motto: "Revolution, Menstruation, Totaloperation - Hauptsache, es fließt Blut") wirkt trotz aktueller Sprüche wie eine Leihgabe aus den 70ern.
Galina Grjasemeschkowa