18 Jahre alt und alles andere als ernsthaft
Mainzer Rhein-Zeitung vom 4. Februar 2013
Drecksäck Gut, hart und fröhlich zelebriert die alternative Fastnachtstruppe ihre Volljährigkeit
Von Stefan Adler
Mainz. Gerade 18 geworden, beginnen die Drecksäck, an der eigenen Legende zu stricken. So fängt die Sitzung im Haus der Jugend mit Ausschnitten alter Eröffnungsfilme an. Zu sehen ist unter anderem der verstorbene Mitbegründer Dieter Kramer.
Doch melancholisch wird‘s nicht. Denn Drecksäck-Frontfrau Birgit Schütz gibt die richtige Parole aus: „Jetzt sind wir volljährig – jetzt dürfen wir alles.“ Frontfrau ist so eine abgegriffene Metapher aus dem Fastnachts-Duden. Nur: Für das, was Schütz gemeinsam mit Günter Beck abzieht, fehlt in jenem besagten Duden ein Begriff. Die beiden moderieren, spielen in Filmausschnitten, in Zwischenspielen, parodieren als „Familie Becker“ sich selbst und natürlich auch die Behäbigkeit der traditionellen Mainzer Fastnacht. Kurz: Sie sind dauerpräsent und eigentlich eine Show für sich. Eine gute übrigens. Etwa wenn Beck als Fenstergucker seine eigene Kandidatur zum Oberbürgermeister verhohnepipelt.
Das Programm zwischen der Schütz-Beck-Show ragt aus dem Durchschnitt der Fastnacht weit heraus. „Prediger“ Peter Herbert Eisenhuth etwa kommentiert und singt mit seinem Chor zu „Schnappi, das Peniskrokodil“ zur Frage, ob die rituelle Beschneidung jüdischer und muslimischer Kinder erlaubt bleiben soll. „Immer noch besser, man kriegt den Zipfel abgesägt / als man ist Messdiener und wird in der Sakristei flachgelegt.“ Christof Eder präludiert schon früh mit Stefan Frondorf in „Making of e Nummer“ über schlechte Fastnachtsideen. Um später, ergänzt durch Petra Unger, als „Saubande“ aufzudrehen: Eder als Oberbürgermeister Michael Ebling, als Claudia Roth oder als durchgeknallter Fastnachter, der das elfjährige „Jubiläum der Kappenfahrt nach Kandahar“ feiern will: „Einen lauten Tusch auf den Hindukusch.“ Sensationell.
Klaus Wowereit hätte in Mainz Helden-Status
Markus Höffer-Mehlmer preist als Anlagenberater an, in Zugplakettchen zu investieren und stellt den Wahnsinn der Börse mit einer eindrucksvollen Spielfreude dar. Joachim Knapp gibt den „Politikberater“ und lobt Berlins Klaus Wowereit: „Ein Flughafen ohne Lärm – in Mainz wär' der Mann ein Held.“ Direkt nach der Pause gibt Oliver Nieder eine Parodie von Günther Jauch. Und wie sein Vorbild hat er es mit einer Kandidatin zu tun, die ihn fordert. Jule aus Niedersachsen ist so renitent, dass die häufigste Frage nach der Sitzung lautet: „War die echt, oder hat die gespielt?“ Sie war echt.
Die Laienspielgruppe mixt wild die Genres, spielt im Film, live in echt und als Puppentheater und hebt dabei die Illusion immer wieder auf. Das ist alles so wüst und gut, dass die Beteiligten es entgegen der Gewohnheit verdient haben, alle genannt zu werden: Hermann Junglas, Helga Hofmann, Burkhard Lewe, Monika Glaser, Angelika Spautz, Thomas Klein, Schütz und Iris Antonietti.
Die Band um Hans „Ernst“ Becker spielt satten Hardrock und dichtet dazu treffende Texte, etwa wenn sie aus „Hells Bells“ von AC/DC den Kurt-Beck-Song „Halt’s Maul!“ macht. Die Männertanzgruppe bietet zu „In the Navy“ einen gut choreografierten Tanz, der Chor „Die Uferlosen“ gibt ein Potpourri und die „Simpel von Meenz“ treten als Indio-Panflöten-Band auf. Aus dem unvermeidlichen „El condor pasa“ machen sie „Die Eder rennt – zum nächsten Fototermin“ und empfehlen der Verkehrsdezernentin Ritalin, um ein wenig ruhiger zu werden. Die Persiflierte steht derweil hinterm Tresen und schenkt Bier aus.
Angetreten sind die Drecksäck vor 18 Jahren als alternative Fastnacht. Sind sie das noch? Wen schert’s? Gut sind die Drecksäck, hart und fröhlich. Das reicht ja dann auch. Und mit 18 fängt das Reizen erst an – im Skat wie bei den Drecksäck.